Jeffery’s Sq / St Mary Axe

Es wird Zeit, die Ahnen in London zu besuchen. Einige Adressen sind überliefert und ich habe sie mir notiert. Zum Glück hat sich in London zwar sehr viel im Stadtbild verändert, aber fast nichts im Straßennetz. Man hat die Hochhäuser einfach in Lücken gebaut, die sich manchmal unfreiwillig ergaben. Beispielsweise nach einem Bombenanschlag der IRA. Ihr Ziel war die Verwaltungzentrale des ‘Baltic Trade’. Das Gebäude stand seit Jahrhunderten in St Mary Axe. Die Explosion war gewaltig, von dem Haus blieb nichts übrig. Ein tiefer Krater markierte die Stelle, wo einst die Handelsherren der Hanse ein und aus gingen. Normalerweise hätte man alles wieder so aufgebaut, wie es einst gewesen war. Diesmal entschied man sich aber anders. Der plötzlich vorhandene Bauplatz lag einfach zu günstig, mitten im Financial District. Kurzerhand wurde ein weltbekannter Architekt (Sir Norman Foster) beauftragt, sich etwas ganz Neues für Londons City einfallen zu lassen. Das Ergebnis war ein gläsernes Hochhaus mit markanter Form. Der Spitzname war schnell gefunden: The Gherkin (die Gewürzgurke). Es war der erste ‘Wolkenkratzer’ in Londons Square Mile. Neben dem Haus liegt der Tower und der sieht im Vergleich fast wie eine Miniaturlandschaft aus. Auch St Paul’s berühmte Kuppel wirkte auf einmal ziemlich klein. Inzwischen sind einige Dutzend weitere Hochhäuser dazu gekommen und nun ist es St Mary Axe selbst (so der offizielle Name von der ‘Gurke’), die sich scheinbar im Schatten ihrer riesigen Nachbarn wegduckt. Trotzdem ist es noch immer ein Hingucker und ein weiteres unverwechselbares London Symbol. Fliegt man mit dem Flugzeug daran vorbei, dann weiß man sofort, wo man ist.

Meine Londoner Ahnen, die Großhändlerfamilie Solly, hat genau an dieser Stelle gelebt und gearbeitet. Als Baltic Trade Merchants kam für sie nur die Adresse St Mary Axe infrage, denn dort war das Handelszentrum angesiedelt. Aber sie hatten dort auch ihre privaten Räume. Am Wochenende fuhr man ins Country House in Walthampstow. Heute ein Stadtteil von London. Aber während der Woche blieben die Männer in der City. Dort machte man die Geschäfte, dort war die Bank, die Versicherungsgesellschaft und die Börse. Ich war schon oft dort, denn es ist eine spannende Gegend. Man geht bequem zu Fuß von der Tower Bridge bis zur Bank of England. Oder von der Guildhall zum alten Fischmarkt an der Themse. Nächstes Mal werde ich aber ganz besonders auf die Adressen achten, wo meine Ahnen lebten und wirkten. Vielleicht lässt sich doch noch irgendeine Spur finden. Ich bin da ganz zuversichtlich.

 

JEFFERY’S SQ / ST MARY AXE

Die City of London, auch Square Mile genannt, ist das älteste Stück der Stadt. Hier haben vor fast 2.000 Jahren die Römer ihr Londinium erbaut. Rundherum wurde eine dicke Stadtmauer errichtet, von der heute nur noch Bruchstücke erhalten sind. Ein kleines Stück kann man im Tower of London sehen. Der übrigens außerhalb der City liegt. Seine Mauern sind gleichzeitig ein Teil der östlichen Grenze der City of London.

Noch heute konzentriert sich der Handel auf die City bzw. auf den Financial District innerhalb dieses Gebietes. Hier sind die Banken und Hedgefonds-Manager aktiv. Die Versicherungsgesellschaften sind zur Canary Wharf gezogen und haben sich dort ihre Wolkenkratzer aufgebaut.

Über die Unternehmer-Familie Solly in St Mary Axe habe ich schon in der Einleitung zu dieser Seite geschrieben. Isaac Solly (1724-1802) wurde hier bereits geboren. Mit ihm ging der wirtschaftliche Höhenflug los. Aber auch seine Eltern Richard Solly und dessen Frau Anne Hollis lebten bereits in St Mary Axe, denn dort kam ihr Sohn laut Geburtsanzeige zur Welt. Sie firmierten unter der Adresse: Jefferies Square, St Mary Axe. Der Name des Platzes ist heute vergessen, aber es sind die Namen aller Mieter überliefert. Darunter finden sich Hamburger Familien. Ein Beispiel ist ‘Koch & Sieveking, merchants’. Ein anderer lautet: ‘Ascanius Lutteroth‘. Die Liste stammt aus dem Jahr 1818; da war Isaac tot, aber seine Firma florierte unter der Leitung der Söhne (Isaac Solly & Sons).

 

FAMILIE SIEVEKING (KOCH & SIEVEKING)

Es mir immer eine große Freude, wenn ganz plötzlich Dinge wichtig werden, die ich vor Jahren schon erledigt hatte. Hier betrifft es meine Begeisterung für die Genealogie. Ausgiebig habe ich mich mit meinen Hamburger Vorfahren beschäftigt und deshalb sind mir die Namen der großen hanseatischen Kaufmannsfamilie gut bekannt. Die Familie Sieveking hat zahlreiche hohe Verwaltungsbeamte, Richter, Senatoren und Bürgermeister in ihren Reihen. Die Kaufleute sind eher in der Minderzahl. Das grenzt die Suche ein. Auf Anhieb fällt mir ein Name ein, nämlich ‘Eduard Sieveking’ (1790-1868) der in London lebte. Er war Kaufmann und seine Lebensdaten passen auch.

Interessanterweise war er mit der Tochter von Johann Valentin Lorenz Meyer verheiratet. Ihr Name war Emerantia Meyer. Lorenz-Meyer waren Weinhändler und der junge Rudolf Christian Gribel hatte bei ihnen das Handwerk gelernt. Danach ging er nach Stettin, gründete dort seine eigene Firma und bald darauf die Reederei RCG. Die ist wiederum eng verbandelt mit den Londoner Kaufleuten Solly. Einige Generationen später wird Eduard Solly einheiraten.

Eduard Sieveking war ab 1809 in London tätig. Zwischen 1813 und 15 hielt er sich in Hamburg auf, kehrte dann aber zurück und blieb bis zu seinem Lebensabend in England. Die Firma hatte er zusammen mit John Henry Koch gegründet. Man passte die Namen an, denn Koch war ebenfalls aus Hamburg und hieß eigentlich Johann Heinrich. Am 31. Dezember 1821 lösten sie ihre Firma einvernehmlich auf. Fünf Jahre später meldet Sieveking seinen Konkurs an. Auch das ein nicht ungewöhnliches Ereignis im Leben eines Kaufmanns. Nicht selten wird gleich danach eine neue Firma gegründet, die sich als widerstandsfähiger erweist.

 

Die Hochhäuser der City liegen am Nordufer der Themse, in direkter Verlängerung der London Bridge. Mittendrin St Mary Axe. Genau dort stand das Baltic Trade Center und dort hatte die Familie Solly ihre Londoner Wohnung.

 

 

FAMILIE LUTTEROTH

Der zumindest in Hamburg ungewöhnliche Name ‘Ascan’ ist fest mit der Familie verbunden. Der Stammvater und viele seiner Söhne wurden so getauft. Die latinisierte Form kommt normalerweise nur in den Namenslisten der Universitäten vor. Dort galt es als gebildet, wenn man diese Form wählte. Mancher blieb dann ein Leben lang dabei. Ein bekannter Mann, mit dem Namen aus der Familie Lutteroth, war Landschaftsmaler und hielt sich oft in England auf. Er könnte es gewesen sein, der diese Namensform wählte. Gegen ihn spricht aber, dass es sich ausdrücklich um einen ‘merchant’ handelte. Es wird also ein Kaufmann gesucht. Vielleicht finde ich vor Ort etwas mehr heraus?