Lister, Joseph Jackson

Joseph Jackson Lister, geb. am 11. Jan. 1786 in London. – Lizenz: Public Domain.

Meine erste Begegnung mit Dr. Lister fand in Chelsea statt. Es war im Mai, herrliches Wetter und ich gönnte mir einen Spaziergang an der Themse. Wie so oft gluckste sie vergnügt vor sich hin. Man muss aufpassen, sich nicht auf ein Gespräch einzulassen, es könnte komisch wirken. Wenn es aber doch passiert, dann wundern sie sich nicht über die tiefe Stimme. DIE Themse ist in Wahrheit EIN Mann, ein göttlicher Father Thames. Mit langen Haaren, wallenden Bart und spitzen Dreizack. Aber auch er ist geschwätzig, wenn er nicht gerade verärgert ist. Dann kann er auch anders. Dann fängt er an zu grollen, droht mit dunklen Wassern, und schäumt vor Gischt fast über. Aber nicht so an diesem schönen Tag. Beidseitig des Flusses ziehen sich breite Promenadenwege entlang, sie führen bis zur Tower Bridge. Hier, in Chelsea, sind allerdings deutlich weniger Touristen unterwegs. Oft ist man ganz alleine und kann den Ausblick genießen. Das tut auch mal ganz gut. Wenn man zu weit läuft und die Füße wehtun, besteigt man einen der vielen Themse-Dampfer. Sie verkehren regelmäßig im Rahmen des ‘Transport of London’ Service.

Auf Höhe der Chelsea Bridge bog ich ab, denn für den Rückweg ins Hotel wollte ich die U-Bahn nutzen. Der Bahnhof Sloane Square bot sich an. Auf dem Weg dorthin, fiel mein Blick auf ein großes Gebäude, sehr prachtvoll, mit roter Backsteinfassade. Das Haus steht direkt an der Straße. Es ist denkmalgeschützt, wie so viele Bauten in dieser Gegend. Ein großes Schild über dem Eingang verriet mir seine Nutzung: The Lister Hospital. Ich machte ein Foto, ging weiter und saß bald darauf in der Tube nach Covent Garden. Der Name ging mir nicht mehr aus dem Kopf. LISTER. Wer war Lister? Wo hatte ich den Namen schon gehört? Er kam mir vertraut vor. Ich konnte es mir damals nicht klären.

 

Die Uferpromenade in Chelsea. Am gegenüberliegenden Ufer grenzt der Battersea Park an die Themse. Auch ein schöner Ort, um sich vom Großstadttrubel zu erholen. Dazu kann man mit Petula Clark trällern: Meet me at Battersea Park, düdeldüdel dü.

 

Inzwischen vermute ich, dass meine Londoner Vorfahren eng mit der Familie Lister verwandt waren. Damals hatte ich davon keine Ahnung, kannte nur einen sehr entfernten Ahnen namens Edward Solly und sonst niemanden aus der Londoner Kaufmanns-Familie. Dann entdeckte ich den ‚Lister-Zweig‘ in der Familiengeschichte und jetzt fehlt nur noch die Verbindung zu Joseph Jackson Lister. Da bleibe ich optimistisch, denn vieles spricht dafür.

 

 

Edwards Schwester Elizabeth Solly hatte den Arzt William Lister geheiratet. Er war eng verwandt mit Joseph Jackson Lister, um den es in diesem Beitrag geht. Er wurde am 11. Januar 1786 in London geboren. Seine Familie stammte aus Yorkshire. Der Großvater, Thomas Lister, war ein Farmer in Bingley. Sein Sohn Joseph ließ sich dann in London nieder, wo er ein Tabakgeschäft in der Aldersgate Street eröffnete. Der Laden lief so gut, dass nach Josephs Tod sein Sohn John das Geschäft übernahm. Der war eigentlich Uhrmacher und hatte sich auch schon in der Lombard Street eine Werkstatt eingerichtet, aber er war immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Das Tabakgeschäft passte gut zum Weinhandel seines Schwiegervaters und so begannen die beiden eine erfolgreiche Partnerschaft in der City of London. Rauchen und Trinken, merry go round.

John heiratete seine Frau Mary 1764 und innerhalb von drei Jahren kamen zwei Töchter zur Welt. Als beide bereits erwachsen waren, passierte ein kleines Wunder. Mary wurde nach 19-jähriger Pause erneut schwanger. Mit fast 50 Jahren gebar sie einen gesunden Sohn. Er erhielt den Namen Joseph Jackson Lister. Nach Schulabschluss begann Joseph im Weinhandel seines Vaters zu arbeiten. Das war inzwischen ein sehr lukratives Geschäft geworden und der Sohn war stolz darauf, als Junior-Partner an der Geschäftsleitung teilzuhaben. Bald darauf lernte Joseph seine künftige Ehefrau Isabella Harris kennen. Sie war eine Lehrerin in der Vorschule, wo sie den Mädchen Lesen und Schreiben beibrachte. Ihr Mann war gestorben und die Kinder noch klein. Aber das störte Joseph Lister nicht, er wollte die Heirat mit der 26-jährigen Isabella wagen. Und so kam es, dass der 32-jährige Joseph Lister über Nacht Vater von sechs Kindern wurde. Ungewöhnlich, denn es war keine Vernunftehe. Einziger Grund war wohl die Liebe. Ein Grund zum Feiern.

Der Weinhandel florierte, Lister machte viel Geld. Die Kinder konnten gute Schulen besuchen und es reichte auch für ein Studium. Die Chance nutzte sein gleichnamiger Sohn Joseph, der Medizin studierte und ein bekannter Chirurg wurde. Nach ihm wurde das Hospital benannt. England bedankte sich bei ihm mit einem Adelstitel. Ab sofort durfte er sich Lord Lister nennen.

Der Vater Joseph Jackson Lister, der den Weinhandel betrieb, war in seiner Freizeit rege beschäftigt. Er hatte großes Interesse an den kleinen Dingen, die der Natur zugrunde liegen. Ihn faszinierte die Welt der Zellen, egal ob im menschlichen Gewebe oder in den Blättern der Pflanzen. Er besaß ein Mikroskop und versuchte damit so weit wie möglich in die Welt des nicht Sichtbaren einzudringen. Aber die Geräte waren damals nicht besonders leistungsstark. Genau das wollte Lister ändern. Er beschäftigte sich intensiv mit den Gesetzen der Optik, tüftelte an neuen Schleifmethoden für Linsen herum und baute sich schließlich sein eigenes Instrument. Und das war in der Tat besser als alle anderen Mikroskope seiner Zeit.

Obwohl Joseph Lister zeitlebens seinen Weinhandel in Vollzeit betrieb, gelang ihm Außergewöhnliches in seiner Freizeit. Seine exzellenten optischen Linsen wurden schnell bekannt und schließlich hatte er sich einen Fach-Freundeskreis aufgebaut, der prominente Namen enthielt. Darunter der Mathematiker und Astronom George Biddell Airy, John Herrschel (Sohn des Uranus Entdeckers) und Thomas Hodgkin, ein bekannter pathologischer Anatom.

Mir gefällt der Lebenslauf von Joseph Jackson Lister. Und wer weiß, wen ich durch meine London-Blog-Arbeit noch alles kennenlernen werde? Auch wenn es nur ein Hobby ist, gehört es doch zu den Tätigkeiten, die ich als ‘luxuriös’ betrachte, denn ich verfüge über die Zeit, um es zu machen. Zeit + Kreativität = Lebensfreude. (Sollte es neu sein, dann nennen wir es die BIP-Formel 😉

 

Das Lister Hospital in der Chelsea Bridge Road. Heute ist es eine Privatklinik für reiche und sehr reiche Patienten. Eines der wenigen Häuser, die nicht vom NHS geführt werden. Der Name des Chirurgen Joseph Lister ist geblieben.