Solly, Edward (1776-1848)

Geburt: 25.04.1776 in London, Jeffrey Sq Ehepartner: Lavinia Pohl / Augusta Crüger
Hochzeit: um 1801 / um 1817 in Berlin Kinder: 3 Töchter und 2 Söhne
Tod: 02.12.1848 in London Beruf: Kaufmann, Kunstsammler

 

Edward Solly wurde 1776 in London geboren. Sein Vater war Großkaufmann, handelte mit Gütern aus dem Ostseeraum, u.a. Bauholz für die königliche Marine. Einer seiner Handelspartner war die Stettiner Reederei Christian Rudolf Gribel. Beide Familien kannten sich seit Generationen und nutzen die Blockade während der Franzosenzeit. Sie unterliefen das Verbot, das Napoleon verhängt hatte, und schmuggelten munter ganze Schiffsladungen wertvoller Güter. Die Sache war gefährlich und tatsächlich flogen sie schließlich auf. Die Dänen hatten die Position ihrer Schiffe an die Franzosen verraten und die stoppten den ganzen Verband. Immerhin 13 große Schiffe, voller Ladung, gingen mit einem Schlag verloren. Man konnte froh sein, dass die Kapitäne und die Besatzungen frei kamen. Trotzdem hatte man in London und Stettin ein Vermögen verdient. Viel Risiko, viel Geld. Edward nutzte seinen Anteil zum Kauf von wertvollen Gemälden und landete einen Volltreffer. Er verstand etwas von Kunst, konnte erstklassige Bilder erkennen und bekam sie oft zum Schleuderpreis. Jahre später verkaufte er seine Sammlung, darunter alle Maler mit Rang und Namen, für etliche Millionen an den preußischen König. 

Edward Solly war ein außergewöhnlicher Mann und ich freue mich, mit ihm verwandt zu sein. Falls er mir ein oder zwei Gene vererbt hat, würde es mich freuen. Ich muss aber auch zugeben, dass der uns verbindende Faden um ziemlich viele Ecken verläuft.

 

 

Meine Urgroßmutter war eine geborene Gribel und eine Cousine von Franz Eduard Gribel, Großkaufmann und Reeder in Stettin. So hatte ich den Weg zur Londoner Familie Solly gefunden. Wo ich mich gleich auf Spurensuche vor Ort machte. Und ich wurde fündig! Denn das stattliche Haus von Edward und seiner Frau Charlotte steht noch immer in Mayfair. Man findet es in der Curzon Street No. 8 und es gehört heute einer freien Glaubensgemeinschaft. Die hießen mich willkommen und ich durfte mir die Räume ansehen, in denen mein Londoner Vorfahre gelebt hat. Das war schon ein tolles Gefühl, denn dann kommt man sich gar nicht mehr so fremd vor.

 

Das Solly-Palais im Londoner Stadtteil Mayfair beeindruckt noch heute. Es ist das Haus am Ende der Straße, mit dem Turm auf dem Dach. Es gehörte Edward Solly, der dort mit Frau und Kindern lebte. Vor allem brauchte er aber den Platz für seine erstaunlich umfangreiche Gemäldesammlung.

 

Eltern und Geschwister

 

Es wird kompliziert. Edward hatte 12 Geschwister, wie stellt man das grafisch dar? Ich habe mir Mühe gegeben. Per Mausklick sieht man es vergrößert.

 

Die Solly-Familie stammte aus Kent. Süd-Ost-England. Viele Generationen lebten in der Nähe von Canterbury. Edwards Vater, Isaac Solly, wurde aber schon in London, in der City, geboren. Er heiratete Elizabeth Neal und sie hatten 13 Kinder, die alle das Erwachsenenalter erreichten. Das war damals eher ungewöhnlich und zeugt davon, dass sie in Wohlstand lebten. Edward hat vier ältere Brüder, die alle das väterliche Unternehmen erben und führen konnten. Er wird deshalb keinen hohen Druck gespürt haben, sondern war der ‚Ersatzmann‘, der sich auch anderen Dingen widmen durfte.

Trotzdem bildet man auch Edward zum tüchtigen Kaufmann aus. Man schickt ihn nach Danzig und Berlin, um dort Kontakt zum preußischen Königshof zu halten. Edward sprach fließend Deutsch. In Berlin (oder vielleicht schon in Danzig) lernt er seine Ehefrau kennen, deren Verwandte später in die Gribel Familie einheiraten werden. Hier ist also die Verbindung zwischen der Stettiner Familie Gribel und den Sollys in London entstanden.

Familienforschung macht Spaß und ich habe mich lange damit beschäftigt. Inzwischen weiß ich, wie man Quellen findet, auswertet und schließlich brauchbare Stammtafeln aufstellt. Bei Edward Solly hatte ich mir wenig Hoffnung gemacht, auf Verwandte zu stoßen, die mit mir irgendwie in Verbindung stehen. Um so überraschter war ich, nachdem ich ein wenig gegraben hatten. Denn mir wurde auf einmal bewusst, dass meine Vorfahren viel mehr mit London zu tun haben, als mir bisher klar war. Kein Wunder, wenn ich bei jedem Besuch dort, sofort das Gefühl habe, dass ich endlich wieder zu Hause bin!

England war und ist bis heute eine Klassengesellschaft. Viel ausgeprägter als bei uns. Findet man den Zugang, oft durch Heirat, dann ist man Teil dieser eng verwobenen, reichen und privilegierten Schicht. Dort stößt man immer wieder auf dieselben Namen, dieselben Familien. Ihre Ahnenreihen reichen über Jahrhunderte zurück und sind lückenlos dokumentiert. Edward hatte diesen Zugang, durch die zahlreichen Verwandten sogar mehrfach. So war unter anderem seine Schwester Mary mit William Domville verheiratet, ein Baron mit wertvollem Landbesitz in St Albans und ‚erstklassiger Abstammung‘.

Aus Jux habe ich die Familienzweige ergänzt und war stets hocherfreut, wenn ein Weg direkt ins Königshaus führte. So manches Mal zwar nur ins Schlafzimmer der Geliebten des Monarchen, aber die Kinder aus diesen Verbindungen wurden anerkannt und genossen hohes Ansehen. Natürlich waren sie von der Thronfolge kategorisch ausgeschlossen. Jedenfalls war ich überrascht, als ich einmal prüfte, ob es eine Verbindung zwischen Edward Solly und dem britischen Königshaus gibt. Und tatsächlich wurde ich fündig und sie ist überraschend kurz.

 

 

Schule – Ausbildung – Beruf

Von 6 Söhnen ist Edward Solly der Vierte. Dazu kommen seine Schwestern, insgesamt waren sie 14 Kinder. Vermutlich sind einige jung gestorben. Der Vater, Isaac Solly, lebte als Kaufmann in London. Er handelte mit Holz und Getreide und möchte das Geschäft mithilfe der Söhne ordentlich vorantreiben. Dafür schickt er sie an verschiedene Orte auf dem Kontinent. Edward geht nach Deutschland. In Danzig soll er sich um die baltischen Partner kümmern. Er spricht fließend Deutsch und nennt sich schon bald „Eduard“.

Im Laufe seines Lebens veröffentlicht er einige Bücher zur Wirtschaftspolitik in Preußen und Deutschland. Sie sind ungekürzt in Google-Books zu finden. Alle Bücher sind in Deutsch und unter dem Autorennamen „Eduard Solly“ erschienen.

Schon Edward’s Vater hatte in Danzig das Handelshaus „Solly & Gibson“ gegründet, das im gesamten baltischen Raum mit Bau- und Nutzholz handelte. Um diese Firma sollte sich Edward kümmern; deshalb hatte man ihn nach Danzig geschickt. Als der Partner Alexander Gibson stirbt, wird ein Nachruf veröffentlich, aus dem ich nachfolgend zitiere.

‘Am 8. Januar 1836 abends starb zu Danzig, noch nicht 66 Jahre alt, nach einer kurzen Krankheit, Hr. Alexander Gibson, königl. großbritannischer Konsul, königl. hannoverscher General-Konsul.

In früher Jugend aus seinem Vaterlande, Schottland, nach Danzig gekommen, hat er sich, mit Ausnahme der Zeit von 1807 bis 1813, in welcher er nicht unter französischer Zwangsherrschaft leben mochte, fast ununterbrochen in Danzig aufgehalten, und, obgleich er vor einigen Jahren das Stadtbürgerrecht auf Verlangen der großbritannischen Regierung aufgab, fortwährend an Danzigs Wohl und Weh lebhaften Theil genommen.

Für seinen Werth spricht die genaue Freundschaft mit Gneisenau, die bis an dessen Tod währte. Gibsons liebliche Villa im Nehrungschen Dorfe Schiewenhorst (ein merkwürdiger Beweis, daß Ausdauer und fester Wille aus einer Dünensandscholle ein Paradies zu schaffen vermögen) enthält ein, den Manen des Feldmarschalls geweihtes Zimmer, mit vielen Erinnerungszeichen an sein Heldenleben und den ihm so viel verdankenden Freyheitskampf.

Gibson war Chef des so ehrenvoll bekannten Handlungshauses “Solly und Gibson”, dessen anderer Chef, Hr. Eduard Solly, später von Danzig fortzog, und große Gemäldesammlungen anlegte, die dadurch, daß sie zuletzt an das Museum von Berlin verkauft wurden, unter dem Namen der Sollyschen Sammlung, den sie noch heute dort führen, so bekannt geworden sind.

Hr. Gibson hatte zur Napoleonischen Zeit Gelegenheit, dem preußischen Staate nicht unwesentliche Dienste zu leisten, wie er denn bey der Belagerung von Danzig im Jahre 1807 eine Art von telegraphischer Korrespondenz mit den auf der Reede befindlichen englischen Kriegsschiffen von der Stadt aus einrichtete.’

 

Ehe + Kinder

In Danzig lernt Solly seine erste Frau Lavinia Pohl kennen. Sie heiraten 1806 und haben eine Tochter Sarah. Als die Franzosen vor Danzig stehen (1806) verläßt Solly die Stadt und geht zunächst nach Memel und dann nach Königsberg. Sein Geschäftspartner Alexander Gibson (siehe auch unten) begleitet ihn. Lavinia stirbt in dieser Zeit. Es muss um 1807/08 gewesen sein. Der junge Vater bleibt die nächsten 8 Jahre alleine. Vielleicht schickt er seine Tochter nach England, wo sie ein Internat besuchen kann. Er jedenfalls verbringt einige Zeit in Schweden und im europäischen Ausland. Diese Reisen dienen der Vertiefung von Geschäftsbeziehungen.

Als Solly zurückkehrt, lässt er sich in Berlin nieder. Dort kauft er ein prachtvolles Haus in der Wilhelmstraße Nr. 68. Das Palais erwarb er wohl schon im Jahr 1808, aber erst 1813 kehrt er von seinen Auslandsreisen nach Berlin zurück. Drei Jahre später, 1816, heiratet er dort seine zweite Frau Auguste Crüger. Mit ihr hat er eine Tochter Anette und zwei Söhne.

 

© Nicholas McNair – reproduced by permission. – Edward und seine Ehefrau Augusta, links ihre Tochter Anette.

 

Das Alter – der Tod – das Erbe

Nach turbulenten wirtschaftlichen Jahren, die Solly zum steinreichen Mann und wenig später an den Rand des finanziellen Bankrotts getrieben haben, verlässt er mit seiner Frau Deutschland. Im Alter von 42 Jahren (1818) kehrt er in seine Geburtsstadt London zurück. Dort kauft er 1821 ein hochherrschaftliches Haus in der Curzon Street, im eleganten Stadtteil Mayfair. Seine Nachbarn sind allesamt Peers mit klangvollen Namen. Das Ehepaar ist für ihre Gastfreundschaft bekannt. Ihr großes Haus ist Treffpunkt für bekannte Persönlichkeiten aus dem politischen Hochadel, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kunst. In der Familie Solly finden sich viele erfolgreiche Kaufleute, aber auch verdiente Naturwissenschaftler. So kreuzten sich in der Curzon Street No. 7 die Wege ganz verschiedener Geister und die regelmäßig stattfindenden Abendgesellschaften wurden von den Freunden sehr geschätzt.

Anfang Dezember 1848 stirbt Edward Solly im Alter von 72 Jahren. Er wurde in London, auf dem Kensal Green Cemetery, begraben.

 

 

Die Kunstsammlungen

Edward Solly hatte zwei bedeutende Gemäldesammlungen. Die Erste legte er um das Jahr 1810 an. Er verwendete dafür seinen finanziellen Anteil, den er aus dem väterlichen Handelsgeschäft erhalten hatte. Während der Kontinentalsperre, die Napoleon über England verhängt hatte, konnten er hohe Gewinne einfahren. Allerdings war auch das Risiko hoch. Hätte man seinen verbotenen Handel mit Holz und Getreide entdeckt, wäre sein Leben in Gefahr gewesen.

Während ganz Europa unruhige Jahre durchlebte, hatte Edward Solly eine beachtliche Anzahl von Gemälden in Italien aus Klöstern und Kirchen zusammengekauft. Die Sammlung galt als wichtig und kunstgeschichtlich bedeutsam, weil Solly nur alte Gemälde des 14. und 15. Jahrhunderts auswählte und keine Restaurierung zuließ.

Diese Bilder, zusammen mit der Giustinianischen Sammlung, legten den Grundstein für die Werke des Berliner Museums. Solly verkauft dem preußischen König Ende 1821 seine Gemälde, weil er inzwischen in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Er handelt die immense Summe von 500.000 Reichsmark aus, ein unfassbarer Preis, aber dann kommt es doch noch zum Streit. Solly verlangt die Auszahlung des Kaufgeldes in Gold; der König will aber in Courant bezahlen, also Geldwährung. Solly lässt nicht locker, denn er weiß, dass das Edelmetall seinen Wert behält, und erreicht schließlich einen Vergleich.

 

Curzon Street No 7

Als ich in London war, machte ich mich auf die Spurensuche. Werde ich noch etwas finden, was schon zu Sollys Zeiten vorhanden war? Sein Haus müsste inzwischen zweihundert Jahre alt sein, was allerdings für einen Engländer keine Herausforderung ist. Man schätzt die Dinge in besonderem Maße, die man von seinen Vorfahren geerbt hat. Man wird stets versuchen, sie in einem guten Zustand zu erhalten, anstatt sie abzureißend. Die Engländer haben ein Gespür für das Leben, das sich in den Häusern abgespielt hat. Sie wissen um Werte, die ideeller Art sind, und durch nichts ersetzt werden können. Ihr Ziel ist es, daran anzuknüpfen, die Dinge zu erhalten und besser zu machen. Das ist der Grund, warum wir uns in alten englischen Häusern sofort wohlfühlen. Selbst dann, wenn sie groß und palastartig sind. Immer weht darin viel Menschliches, viel Drama, aber auch Glück und gelebtes Leben.

Die Curzon Street gibt es noch immer, der Straßenverlauf wurde nie geändert. Sie liegt im vornehmen Stadtteil Mayfair, gleich an der Ecke, wo Hyde Park und Green Park aneinanderstoßen. Der Buckingham Palace ist in Sichtweite. Ich komme vom Norden, laufe Piccadilly hinunter und biege dann in eine kleine Straße ein, die den Namen ‘Half Moon Street’ hat. Sie führt mich schnurstracks zur Curzon Street und direkt zum Haus No 7. Ich gehe frontal auf das Gebäude zu, das ich schon von Weitem sehen kann und das mir zunächst zu groß erscheint, als dass es ein Wohnhaus gewesen sein könnte. Heute ist dort eine Freikirche eingezogen, aber damals gehörte das ganze Gebäude Edward Solly. Im oberen Geschoss hatte er seine Gemälde ausgestellt, im ersten Geschoss wird man gewohnt haben und unten waren die Empfangsräume, wahrscheinlich auch ein größerer Saal. Alles sehr prachtvoll, aber nicht protzig. Ich kann ungehindert in das Haus eintreten, niemand hält mich auf und so mache ich ein paar diskrete Fotos. Aber vor allem versuche ich mit eigenen Sinnen alles wahrzunehmen und manches Detail zu erkennen. Sicherlich werde ich bei Gelegenheit noch einmal hierher zurückkehren. Immerhin habe ich eine Adresse in London gefunden, wo ein Vorfahre gelebt hat. Das macht mich glücklich. Und was ich noch nicht weiß, vielleicht ahne oder erhoffe, ist, dass dies erst der Anfang einer spannenden Entdeckung meiner Familie in London ist. Eine Stadt, die mir vom ersten Moment an viel bedeutete. Inzwischen verstehe ich besser, warum ich mich dort immer ‘wie Zuhause’ gefühlt habe. Ich scheine die richtige Antenne zu haben, um die Signale aus der fernen Vergangenheit empfangen zu können. Ich musste sechs Jahrzehnte warten, bevor mich der Zufall endlich hierhergeführt hat. Jetzt bin ich so oft in London wie möglich und wäre ich ein bisschen jünger, dann würde ich mir dort gerne eine dauerhafte Bleibe suchen.

 

 

Timeline

 

 

(1) + (2) Als seine Ehefrau Lavinia Pohl im November 1807 stirbt, hat Edward zwei kleine Töchter. Die jüngste ist gerade 3 Jahre alt geworden, die ältere Schwester war 5 Jahre alt. Ich vermute, dass ihn ihr Tod seiner Frau völlig unerwartet getroffen hat, auf jeden Fall viel zu früh. Edward geht es finanziell gut, aber er kann ohne Ehefrau, seinen Geschäften nicht nachkommen. Er ist viel unterwegs, pendelt zwischen Leipzig, Berlin, Stettin und anderen baltischen Häfen hin und her.

Zur gleichen Zeit führen die Franzosen, geführt von Napoleon Bonaparte, einen erfolgreichen Krieg gegen ganz Europa und dabei wurde die britische Insel vom Rest abgeschnitten, indem man eine Kontinentalsperre verhängte. Wer England auf dem Seeweg mit Waren versorgte, riskierte sein Leben. Jeder Handel war streng verboten. Edward und die Familienfirma (Isaac Solly and Sons, seine Brüder) wagten dennoch das Risiko und verdienten damit ein Vermögen in kurzer Zeit. Sie belieferten die britische Marine mit Holz und Hanf, das sie aus den Baltischen Ländern, vor allem Preußen, einkauften. Ihre Schiffe, die stets im Konvoi fuhren, durften auf keinen Fall entdeckt werden. Das ging lange Zeit gut. Die britische Marine nutzte das Holz, beste preußische Eiche, um daraus Kriegsschiffe zu bauen. Honi soi, qui mal y pense.

Persönlich versorgte Edward nach dem Tod seiner Frau erst einmal seine Kinder. Er schickt sie zurück nach London, wo sich seine Schwestern um sie kümmerten. Er selbst reiste dann für einige Zeit nach Schweden, wo er einen engen Freund hatte und anschließend ist er viel in Deutschland und angrenzenden Ländern unterwegs. Edward wirkt in dieser Lebensphase rastlos oder wenigstens auf der Suche. Seine persönliche Krise hält an, bis er seine zweite Frau findet und 1816 (vermutlich) heiratet. Einige Jahre vorher, ca. 1813 passiert das, was er stets befürchten musste. Ein ganzer Schiffskonvoi wird von den Dänen an die Franzosen verraten. Die stoppen die Schiffe im Skagerrak und bringen sie nach Kopenhagen. Dort wird die Ladung konfisziert und die Besatzung, zumindest die Kapitäne werden wohl erst einmal inhaftiert. Für ‚Solly and Sons‘ und damit auch für Edward, ist der finanzielle Verlust immens. Die enormen Gewinne der Vorjahre sind mit einem Schlag verloren. Die Londoner Firma übersteht die Krise. Edward und sein Leipziger Geschäftspartner Alexander Gibson werden im Folgejahr, 1814, den dänischen Staat zur Rückgabe der Schiffe auffordern, wobei einige Schiffsnamen genannt werden: Experiment, Spring, Mary, Europa und Enterprize. Den preußischen Staat wird er zur finanziellen Entschädigung auffordern, denn natürlich geschah der Holzschmuggel im Wissen, vermutlich sogar im Auftrag, des preußischen Königs. Man könnte also sagen, Ende gut – alles gut, aber die Geschichte hat durchaus noch eine Fortsetzung. Die geschieht aber erst einige Jahre später. Und soll hier nicht erzählt werden. (=> Verkauf seiner Gemäldesammlung an den preußischen König.)

Friedrich W. Gribel, Großkaufmann und Reeder in Stettin.

Etwas zur selben Zeit, als die Fa. Solly ihre Schiffe verliert, wird in Stettin ein angesehener Reeder und Großkaufmann von den Franzosen festgenommen. Es handelt sich um Friedrich Wilhelm Gribel (1785-1846), der ebenfalls im Holzhandel tätig ist. Er kann die Ware liefern, die die britische Marine haben möchte. Zusammen mit einigen Prokuristen landet er für eine Nacht in einer Zelle. Man wirft ihm das Unterlaufen der Kontinentalsperre vor. Nur mit Mühe und allen diplomatischen Druckmitteln, die die einflussreiche Familie Gribel hat, gelingt es ihnen, den jungen Firmeninhaber wieder freizubekommen. Er ist ein enger Verwandter von Charlotte Augusta Krüger, die etwas später die zweite Ehefrau von Edward Solly wird. Zufall? Ich denke nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass die beiden Firmen eng miteinander gearbeitet haben. Solly in London und Gribel in Stettin (auch Berlin und Hamburg). Da wurde Baltic Trade im großen Stil praktiziert und sie sind einer der Gründe, warum mich der Baltic Trade so sehr interessiert.

Während der persönlichen Krisenjahre von Edward Solly passiert noch etwas wirklich Abenteuerliches. Er wird Augenzeuge der Schlacht bei Leipzig. Er ist selbst vor Ort, als Napoleon die entscheidende Niederlage kassiert. Das passierte am 19. Oktober 1813. Die Nachricht um den Sieg der Preußen (in Allianz mit Österreich, Russland und Schweden) ist bares Geld wert. Heute wüsste man es weltweit binnen von Sekunden, damals dauerte es Tage oder sogar mehr als eine Woche, um die Meldung per Reiter in die Welt zu schicken. Edward war sich sofort bewusst, was das für die Börse und seine Familie in London bedeuten würde. Wer jetzt nicht rechtzeitig verkauft bzw. die Waren auf Friedenszeit umstellt, hatte verloren. Er machte etwas Unglaubliches. (Man sollte es eigentlich verfilmen, es würde schöne Bilder erzeugen.) Er setzte sich auf sein Pferd und ritt los. Start in Leipzig, Ziel in London. Zeitvorgabe: so schnell wie möglich, aber auf jeden Fall schneller als der offizielle Kurier. Das Vorhaben gelang ihm. Es war nicht nur ein tagelanges, extrem hartes Wettrennen, sondern auch ein ständiges Umgehen der noch immer existierenden französischen Einheiten. Sie waren überall stationiert und hätten ihn schlimmstenfalls einfach erschossen. Er muss Tag und Nacht geritten sein, überquerte den Ärmelkanal in einem Fischerboot, dessen Kapitän er für die Überfahrt wohl mehr Geld gab, als das Schiff wert war. In Kent angekommen, wo er sich bestens auskannte, wählte er die kürzeste Route nach London und kam tatsächlich deutlich vor dem Depeschenreiter an. Ein Husarenstück im Alter von 37 Jahren. Hut ab, der Mann war fit. 

 

 

Mobilität

Mich wundert immer wieder, wie mutig und anpassungsfähig unsere Vorfahren waren. Vielleicht habe ich eine falsche Vorstellung vom 18. Jahrhundert, aber ich denke, dass das Reisen damals beschwerlich war. Deutschland und England verfügten zwar schon früh über ein beachtliches Eisenbahnnetz, aber das alleine macht die Reise nicht komfortabel. Was war mit dem Gepäck? Man konnte es doch nur in schweren Kisten verstauen. Wie plante man die Reise? Wie erfuhr man, wann die Fähre ablegen wird und wie ging es dann weiter, wenn man den Kontinent erreicht hatte? 

Edward war ein brillanter Reiter und nutzte vielleicht diese Möglichkeit. So war er unabhängig von Fahrplänen, dafür aber Wind und Wetter ausgesetzt. Nachweislich hat er einen Ritt von Leipzig nach London unternommen, fast pausenlos, aber das geschah unter ganz besonderen Umständen. Normalerweise wird er für so lange Strecken eher die Eisenbahn gewählt haben, wenn es dann eine Zugverbindung gab. Ich habe mal einige Bewegungen von Edward Solly auf der Landkarte nachvollzogen. Es sind lediglich die Strecken, die er zurücklegte, um seine Umzüge von einer Stadt in eine andere zu vollziehen. Die Besuche bei Freunden und Geschäftspartnern habe ich nichts berücksichtigt, denn sie führten ihn von Schweden bis nach Norditalien. 

Eins ist mir jedenfalls klar geworden, die Forderung nach Mobilität, ist keine neuzeitliche Herausforderung. Damit sahen sich auch schon unsere Vorfahren konfrontiert und sie haben es gemeistert.

 

Einige Stationen im Leben von Edward Solly. Gleich nach der Schule schickte ihn sein Vater nach Danzig. Von dort ging es nach Berlin und schließlich zurück nach London. – Ich bin einige Male innerhalb Hamburgs umgezogen und empfand es stets als Herausforderung. Darüber werde ich noch einmal nachdenken.