Die Grafschaft Kent

Ich stelle es mir dort herrlich vor. Sonne, Strand und Meer. Kleine Badehäuschen, mit bunt angestrichenen Türen, stehen wie an einer Perlenkette aufgereiht am Strand. Die kosten übrigens ein Vermögen, jedenfalls in den begehrten Orten. Und davon hat Kent sicherlich einige. 

Die Grafschaft scheint mir flächenmäßig ziemlich groß zu sein. Sie reicht bis London, hat Sussex zum Nachbarn und ansonsten nur Wasser. Im Norden, im Osten und im Süden. Die Einwohnerzahl ist vermutlich eher gering, wenn auch viele Pendler aus London sich dort gerne ein Häuschen suchen. Wer kann schon die Londoner Preise bezahlen? 

In früheren Jahren war es in Kent vermutlich ganz ähnlich wie heute. Der gesamte Verkehr zum Kontinent fließt durch diese Grafschaft und dann per Schiff von Dover nach Calais. Die Route ist uralt und hat sich bewährt. Kein Wunder, nirgends ist der Ärmelkanal schmaler. Eine sichere Überfahrt ist hier am ehesten gewährt. Wer aus der anderen Richtung kommt, macht es nicht anders. Allerdings bleibt der Reisende dann nicht lange in Kent, sondern versucht so schnell wie möglich nach London zu kommen. Das ist nun mal die Metropole und war es auch schon in Urzeiten. Übrigens konnte man dort lange Zeit nur über die London Bridge das Nordufer erreichen. Mitte des 18. Jahrhunderts wurden dann aber weitere Brücken gebaut. Ich glaube, chronologisch folgte die Westminster und die Blackfriars Bridge. Heute hat man alle paar hundert Meter Gelegenheit, das Themseufer zu wechseln und das ist eines der Dinge, die ich an London ganz besonders schätze. Man vermutet es nicht, aber die Stadt ist ein Fußgänger-Paradies, vom Palace of Westminster bis zum Tower (und darüber hinaus). 

Zurück nach Kent, der Heimat der Familie Solly. Jedenfalls vermute ich es, denn die ältesten Überlieferungen betreffen stets Familienmitglieder, die dort ansässig waren. Könnte man noch weiter in der Zeit zurückgehen, würde man auf einen Ur-Vater stoßen, der die Fahrt über den Kanal gewagt hat. Vielleicht kam er aus ‚Angel-Sachsen‘ oder sogar aus Dänemark? Neueste genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass ziemlich viele Engländer ihre Wurzeln in Norddeutschland hatten, beispielsweise in Dithmarschen. Anyway, wann immer wir den Zeitfaktor überstrapazieren, reduzieren wir unser aller Herkunft auf eine Person und einen Ort. Trotzdem ein nettes Gedankenspiel.

Eine Ortschaft ist besonders eng mit der Familie Solly verbunden und das ist Ash. Man muss die Karte schon ziemlich detailliert darstellen, um den Ort zu finden. Er liegt gleich östlich von Sandwich, nicht weit von der Küste entfernt. Aber auch nicht nah genug, um regelmäßig auf dem Wasser zu sein. Deshalb glaube ich nicht, dass die Solly Ur-Väter Fischer waren, dann schon eher Bauern. Auf jeden Fall waren sie viele Generationen lang in Ash ansässig. Das wird seinen Grund gehabt haben, denn das viel größere Canterbury liegt nicht weit entfernt und war schon immer ein Anziehungspunkt. 

 

 

Meine Vorfahren stammen aus Dithmarschen und haben dort gut gelebt. Aber es gab für sie einen Feind, den sie nicht kontrollieren konnten. Und das war natürlich die See. Wenn sich eine Sturmflut entwickelte, dann war ihr mühsam erbauter Deichschutz keine Versicherung. Und tatsächlich gab es regelmäßig furchtbare Stürme mit tausenden von Opfern. Irgendwann haben sie aufgegeben und sind von der Westküste an die viel ruhigere Ostsee gezogen. Das kann man nachvollziehen. Ich vermute, in Kent war es nicht anders. Einzig die Windrichtung ist genau entgegengesetzt zur deutschen Nordseeküste. Ich glaube selbst heute, haben die Engländer nur wenige Deiche. Sie wollen freien Blick aufs Wasser haben und das geht nicht, wenn man gegen einen meterhohen Wall schaut.

Ende des 18. Jahrhunderts tauchte die Familie Solly dann in der City of London auf. In kürzester Zeit gehörten sie zu den erfolgreichsten Großkaufleuten und handelten vor allem mit Waren aus dem baltischen Raum. Auf ihren Schiffen, ich vermute stark, dass sie ihre eigenen Schiffe besaßen, transportieren sie Getreide, Holz und Hanf. Sicherlich auch viele andere Waren, aber das waren zumindest einige ihrer Schwerpunkte. 

Eigentlich hätte ich jetzt Lust, selbst einmal einen Urlaub in Kent zu verbringen. Aber wie kommt man dorthin? Ein Boot wäre hilfreich, es würde mich direkt von Hamburg dort hinbringen. Wahrscheinlich muss man den Umweg über einen Londoner Flughafen machen. Und dann bräuchte man natürlich ein Auto. Da schreckt mich der Linksverkehr ein wenig ab. Mal sehen, ich werde es auf meine Wunschliste schreiben.