Der Stahlhof in London

Einige meiner Londoner Vorfahren waren hanseatische Kaufleute. Ihre Familien stammten aus Danzig, Stettin und Hamburg. Sie handelten anfangs mit Wein, dann mit Getreide und Bauholz. Alles Güter, die sie in Preußen einkaufen konnten und per Schiff nach England brachten. Dabei folgten sie einer alten Handelsroute und nutzten die Vorteile der Hanse Gemeinschaft, die auf der Insel mehrere feste Hafen- und Lagerplätze besaß.

Schon Ende des 12. Jahrhunderts lieferten rheinische Kaufleute Wein nach London. Der König gewährten ihnen Schutz und Privilegien. Ihr Wein war gut und begehrt. So entstand ein Zunfthaus am Themseufer, dass die Guildhall der Hanse Kaufleute werden sollte. Das Gebäude steht schon lange nicht mehr und die heutige Guildhall in der City dient anderen Zwecken, nämlich als lokales Rathaus.

Der Steelyard (Stahlhof) umfasste ein relativ kleines Gebiet, das den Hanse Kaufleuten zur Lagerung ihrer Waren diente. Sie hatten dort aber auch ihre Wohnungen und Kontore. Eine hohe Mauer schützte das Areal vor Eindringlingen. Erst 1853 wurde der Steelyard aufgegeben und heute steht auf dem Gelände ein großer Bahnhof, nämlich die Station Cannon Street. Der Stadtteil, indem der Stahlhof angesiedelt war, heißt noch heute Dowgate. Er ist sehr klein, umfasst nur wenige Straßen an der Themse.

Innerhalb von Dowgate befand sich auch die Kirche der Hanse Kaufleute. Sie hieß All-Hallows-the-Great und lag an der gleichnamigen Straße, die noch heute von der Lower Thames Street hinab zu Themse führt. Das Kirchengebäude wurde Opfer der Flammen, während des großen Brandes 1666. Der Architekt Wren baute die Kirche wieder auf, aber gut 200 Jahre später wurde sie dann endgültig abgerissen. Man brauchte sie nicht mehr, weil ihre Gemeinde fortgezogen war. Der Steelyard wurde nicht mehr genutzt. Schließlich verkaufte man ihn an die Stadt London.

 

Auf alten Karten ist der Steelyard eingetragen. Diese Karte ist von 1746 und wurde von der „David Rumsey Map Collection, David Rumsey Map Center, Stanford Libraries“ zur Verfügung gestellt.

 

In der langen Zeit von 1175 bis 1853 gab es einige Kriege zwischen England und Deutschland. In diesen Phasen wurde der Hansehafen für die Kaufleute verständlicherweise gesperrt. Aber es waren stets nur kurze Epochen. Natürlich mussten die Kaufleute selbst für die Instandhaltung aufkommen und zudem hatten sie sich um alle Kosten zu kümmern, die für die Erhaltung des Bishopgate anfielen. Das war eines der großen Stadttore, nach dem noch heute eine Straße benannt ist. Wer das Tor stadtauswärts passierte und dem Weg folgte, gelang schließlich an die östliche Küste von England. Dort gab es zwei weitere Hanse Niederlassungen, nämlich Boston und King’s Lynn. Sie hatten den Vorteil, dass auch große Lastschiffe dort vor Anker gehen konnten. In London war das nicht möglich, denn die Einfahrt in den Steelyard wird durch die relativ flache London Bridge behindert. Alle anderen Themsebrücken wurden erst später gebaut.

 

 

 

Hamburger Kaufleute hatten einen großen Vorteil. Ihre Reise war kurz im Vergleich zu den Strecken, die die Kaufleute an der Ostsee bewältigen mussten. Kein Wunder, dass es immer die Reeder waren, die auf den Ausbau des Eisenbahnnetzes drängten. Die Familie Gribel in Stettin schickte ihre Söhne nach Berlin, um dort Einfluss auf die Bahnplanung zu nehmen. Nicht anders handelten englische Kaufleute, die ihre Fabriken in Birmingham oder Manchester hatten. Sie wollten einen schnellen Transportweg nach London (Boston, King’s Lynn) haben. Der Großkaufmann Isaac Solly, von dem auf diesen Seiten noch oft die Rede sein wird, war first chairman of the London & Birmingham Railway. Er war natürlich daran interessiert, seine Ware aus dem Ostseeraum (u.a. Bauholz und Hanf), die in London per Schiff angeliefert wurde, so schnell wie möglich weiterzutransportieren.

Der Bahnhof ‘Cannon Street’ nimmt ziemlich genau die Fläche ein, auf der sich früher der ‘Steelyard’ befand. Die historische Karte zeigt die Gebäude, die dort standen. Sie dienten ganz unterschiedlicher Nutzung. Zwei Türme an der Themse blieben stehen und flankieren noch heute die Einfahrt. Sie stammen aber nicht aus der Zeit, als hier die Hanse-Kaufleute verkehrten. Sie sind ein Überbleibsel des ersten Bahnhofes, der dem heutigen Neubau weichen musste. Die Southeastern Railway hat hier ihren Kopfbahnhof in London. Die Züge kommen aus East Sussex oder Kent. Tausende nutzen diesen Bahnhof täglich, um ins Büro zu kommen. Die meisten gehen zu Fuß in die City oder steigen in die Underground um, die im Untergeschoss eine Haltestelle hat. Vor der Tür halten alle Buslinien, die vom Tower über die Fleet Street in Richtung Westminster fahren.

 

 

Alte Karte Stahlhof zu London: Droysen/Andrée, Droysens-28a, CC BY-SA 3.0

 

Diese kleine Fläche, die der Hanse gehörte, war eine eigene, winzige, abgeschottete Stadt in der City of London. Die Kaufleute genossen dort Sonderrechte und folgten ihrer eigenen nationalen Gesetzgebung. Eröffnet wurde der Handelsplatz unter der Regentschaft von Queen Elizabeth I. Es gab gute und schlechte Zeiten, aber der Große Brand, im Jahr 1666, zerstörte den Steelyard binnen weniger Tage. Danach erfolgte zwar ein Wiederaufbau, aber eigentlich war die Fläche inzwischen zu klein und der Handel wurde zunehmend international geführt. Beim Neuaufbau, der von den hanseatischen Kaufleuten bezahlt wurde, verzichtete man auf die umfassende Mauer, denn es ergab keinen Sinn mehr sich abzuschotten. Der alte Glanz war verloren, die großen Geschäfte blieben aus bzw. wurden inzwischen auf anderen Wegen getätigt. So kam es, dass man das Gelände schließlich aufgab. Die Eigentümer, Hamburg, Bremen und Lübeck, verkauften 1852 das Areal an die Eastern Railway. Die Schiffe aus den norddeutschen Häfen steuerten schon lange die Docks im Londoner Hafen an. Sie lagen vor der Tower Bridge und konnten deshalb viel einfacher erreicht werden. Heute ist der Londoner Hafen an der Themsemündung zu finden. Nochmals wurde die Fahrtstrecke für die Schiffe verkürzt und man muss auch keinen Schlick ausbaggern, um die Fahrrinne tief genug zu halten. Im Gegensatz zu Hamburg, das sich für einen Tidehafen entschieden hat, wurde in London ein Sperrwerk in die Themse gebaut. Es schützt vor Hochwasser, sperrt den Fluss bei Gefahrenlage, verhindert aber auch das Durchkommen großer Schiffe. Inzwischen steigen die Meeresspiegel und damit auch die Gefahr von Flutwellen. Hamburg kann nur mit der Erhöhung der Deiche reagieren. London ist besser gewappnet. Auch in Hamburg werden Stimmen laut, die ein Sperrwerk in der Elbe fordern. Aber dann müsste sich die Stadt einen neuen Standort für ihren Hafen suchen. Die Herausforderungen sind gewaltig und eines ist gewiss, es muss jetzt gehandelt werden, damit die nächsten Jahrzehnte nicht zum Untergang führen.

 

 

Ein paar historische Daten zum Steelyard in London

1175 König Henry II. gewährt rheinischen Kaufleuten Handelsprivilegien, darunter einen Schutzbrief. Der Steelyard wird von ihnen gegründet und erste Gebäude errichtet.

1250 König Henry III. bestätigt die Privilegien für alle deutschen Hanse-Kaufleute. Ab jetzt geht es nicht nur um Wein, sondern auch um Getreide und Tuche.

1468 Die Hanse bringt englische Schiffe im Sund auf und das hat Folgen. König Edward IV. lässt die Guildhall stürmen und nimmt die Kaufleute in Haft. Die Folge ist ein Hansisch-Englischer Krieg, der mit dem Frieden von Utrecht (1474) endet.

1598 Ein Krieg zwischen Königin Elizabeth I. und dem deutschen Kaiser führt zur Ausweisung aller hanseatischen Kaufleute. Der Stahlhof wird geschlossen und die Waren werden beschlagnahmt. Erst 1606 dürfen die Hanseaten zurückkehren. Sie erhalten ihren alten Handelsplatz zurück, allerdings nicht die Privilegien, die sie jahrhundertelang genossen.

1666 Der große Brand von London bricht unmittelbar neben dem Steelyard aus. Die Flammen vernichten alles. Anschließend folgt ein Neuaufbau, der von der Hanse finanziert wird. Es beteiligen sich die Städte: Bremen, Hamburg und Lübeck. Ihre Kaufleute sind ab diesem Zeitpunkt die Nutznießer des Hansehafen an der Themse.

1853 Der Steelyard wird nicht länger genutzt, die Gemeinschaft der Hanse existiert nicht mehr. Das Gelände wird verkauft

1866 Der erste Bahnhof Cannon Street wird eröffnet. Er wurde auf dem Areal des Steelyards gebaut.

 

Paul Amsinck,  Der Stahlhofmeister

Die hanseatischen Kaufleute wählten sich einen der ihren zum Stahlhofmeister. Er war der Verwaltungschef und hatte sein Büro auf dem Gelände an der Themse. Einer dieser Männer war Paul Amsinck. Er zeigt beispielhaft die Verzahnung zwischen Hamburg und London. Schon sein Vater und auch der Großvater waren Großkaufleute. Sie handelten insbesondere mit Portugal und hatten schon bald eine Niederlassung dort eingerichtet. Dort kam Paul im Sommer 1733 zur Welt. Bald darauf kehrten die Eltern nach Hamburg zurück und nahmen ihren Sohn natürlich mit. Als der die Schule beendet hatte, schickte ihn sein Vater nach London. Bald darauf gründete Paul seine eigene Firma ‘Paul Amsinck & de Drusina’. Sein Kompagnon stammte wie er aus einer Hamburger Familie.

Pauls Kinder wurden alle in London geboren und heirateten englische Frauen. Von seinem Sohn Wilhelm (William) wissen wir, dass er Lieutenant bei der Navy war. Die beiden anderen Söhne Thomas und Paul wurden Merchants in London, genau wie ihr Vater. Bei der Wahl der Vornamen achtete man darauf, dass sie sowohl in England als auch in Deutschland gebräuchlich waren. So hatte man für alle Fälle vorgesorgt.

 

 

Paul Amsinck wurde 1773 zum Stahlhof Meister gewählt. Einige Jahre später übernahm er auch das Amt des ‘Commissionary for the Royal Wine Company at Oporto’. Damit hatte er zwei Aufgaben, die beide bezahlt wurden und ihm zu einem gesicherten Einkommen verhalfen. Für die eigene Firma hatte er sich einen neuen Geschäftspartner gesucht und ihn in Georg Soltau gefunden. Leider ging es nicht gut aus, seine Firma war 1784 bankrott und damit wurde ihm auch der Posten im Stahlhof nicht länger zugestanden. Amsinck eröffnete daraufhin ein neues Geschäft, diesmal zusammen mit dem Sohn Thomas. Sie nannten sich ‘Amsinck, Paul & Son, Merchts’. Die Adresse lautete 16 Sise Lane (City, Ecke Victoria Street). Aber auch diesmal war der Erfolg nur von kurzer Dauer. Im Jahr 1789 ging auch diese Firma Konkurs. Der Vater zog sich daraufhin aus dem Geschäftsleben zurück. Seinen Sohn Thomas Amsinck finden wir etwas später unter der Geschäftsadresse 16 Laurence Pountney Lane (gleich östlich neben dem ehemaligen Stahlhof Gelände). Hoffentlich hatte er damit mehr Glück als der Vater.

Die Familie Amsinck ist in Hamburg bekannt. Sie hatten enge Verbindung zur Familie Sieveking. Ich habe vor einigen Wochen ihre Grabstelle auf dem Ohlsdorfer Friedhof besucht und ein paar Fotos gemacht.